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Titel
Unter Wüstensöhnen. Die deutsche Expedition Klein im Ersten Weltkrieg


Autor(en)
Veltzke, Veit
Erschienen
Anzahl Seiten
400 S.
Preis
€ 34,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Peter Thorau, Historisches Institut, Universität des Saarlandes

Beschäftigt man sich mit dem Ersten Weltkrieg im Vorderen Orient, so wird man fast zwangsläufig mit dem britischen Offizier Thomas Edward Lawrence konfrontiert, der als „Lawrence von Arabien“ zum Mythos wurde. Wer aber kennt den militärisch mindestens ebenso erfolgreichen preußischen Hauptmann und osmanischen Major Fritz Klein, dem es im Zweistromland gelang, die schiitische Geistlichkeit in Kerbala für den Dschihad gegen die Entente zu gewinnen und der britischen Ölversorgung am Persischen Golf empfindliche Schäden zuzufügen?

Seine zu Unrecht weitgehend vergessene Expedition rückt Veit Veltzke in den Mittelpunkt seiner Untersuchung. Denn obwohl der von Klein erhoffte religiös motivierte Aufstand im Irak und in Persien letztlich ausblieb, erzielte er doch mit seinen zu Beginn nicht einmal zwanzig deutschen und einigen türkischen Soldaten unterstützt von angeworbenen Beduinen durchaus beachtliche Erfolge. Noch bedeutsamer als der finanzielle Schaden, den „Expedition Klein“ Großbritannien zufügte, war die strategische Wirkung des Unternehmens, das eine nicht unerhebliche Zahl britischer und russischer Soldaten in der Golfregion und in Westpersien band. Diese hätten ansonsten an der Ost- und Westfront zum Einsatz kommen und den Krieg ggf. zu einem früheren Ende bringen können. Vor allem aber vereitelte Klein mit Hilfe persischer Stammesverbände und einer geringen Zahl türkischer Einheiten erfolgreich einen Vorstoß russischer Streitkräfte in den Irak und damit deren Versuch, den dort stationierten britischen Truppen zu Hilfe zu kommen. Indirekt leistete Klein dadurch auch einen Beitrag zu den britischerseits nicht für möglich gehaltenen Niederlagen bei Ktesiphon im November 1915 und bei Kut al-Amara im April 1916.

Dies alles erzählt Veit Veltzke auf Basis zahlreicher, bislang von der Forschung noch nicht oder nur am Rande herangezogener bzw. ausgewerteter Quellen. Dazu gehören sowohl offizielle diplomatische und militärische Archivalien, Zeitungsberichte, aber auch Ego-Dokumente der Beteiligten wie etwa Briefe, Tagebücher und nachträglich abgefasste Erinnerungen. Dass Veltzke seine Quellen nicht nur auswertet und interpretiert, sondern die Protagonisten durch Einbindung längerer oder kürzerer Zitate selber zu Wort kommen lässt, verleiht seinem Text ein hohes Maß an Anschaulichkeit und Lebendigkeit und macht die Lektüre auch für Nichtwissenschaftler zu einem Vergnügen.

Ausgehend von seinen bereits durch Abenteuerlust gekennzeichneten Jugendjahren, zeichnet Veltzke zunächst Kleins in Saarbrücken beginnende militärische Laufbahn nach. Diese frühen Jahre von Kleins Karriere sind vor allem deshalb bedeutsam, weil ein hoher Spielbankgewinn ihm nicht nur eine Weltreise ermöglichte, sondern auch eine mehrjährige Tätigkeit auf verschiedenen undotierten diplomatischen Posten in Rio de Janeiro, Kairo und Teheran. Nicht zuletzt die dadurch erworbene Erfahrung und Weltläufigkeit empfahlen ihn im Krieg für das zunächst von Wirtschaftskreisen lancierte, vom Auswärtigen Amt aufgegriffene und schließlich vom Generalstab realisierte Kommandounternehmen im Vorderen Orient, dem das Hauptaugenmerk des Bandes gilt.

Hier kann Veltzke auch immer wieder die bisherige Forschung korrigieren, die sich zudem zwar – wenn auch nicht in zahlreichen Werken – dem persischen Kriegsschauplatz widmete, jedoch die Expedition Klein bestenfalls beiläufig behandelte.1 So widerlegt Veltzke etwa die These von Werner Ende2, „die deutsche Delegation sei [in Kerbala] einer Täuschung der geschickten Mullahs aufgesessen“ (S. 95).

Veltzke beschreibt jedoch nicht nur die militärischen Aktivitäten in Mesopotamien und Westpersien, sondern flicht immer wieder auch interessante Berichte Kleins und seiner Kameraden über Land und Leute in seine Darstellung ein, besonders solche von Kleins jungem Adjutanten Edgar Stern oder von Hans Lührs, der vor dem Krieg als Grabungsexperte in Assur tätig gewesen war. Jenseits der militärischen Ereignisse erfährt der Leser so in Veltzkes Buch viel Wissenswertes über Kultur- und Mentalitätsgeschichte, etwa über das kulturelle Selbstverständnis der Beteiligten, die „durch ihren bildungsbürgerlichen Hintergrund und geläufige Vorstellungen des anziehend exotischen wie abenteuerlichen Orient vorgeprägt [...] Gegenbilder zur europäischen Welt [suchten und fanden], die sie gerade verlassen hatten“ (S. 105). Sie beschrieben einen heute fast gänzlich der Vergangenheit angehörenden Orient und uralte Strukturen, die bis zum heutigen Tage von nicht zu unterschätzender Tragweite sind, wie etwa die Stammesstrukturen und die daraus resultierenden, für Europäer nur schwer zu durchschauenden Loyalitäten, an denen heute noch westliche Politiker und Militärs – anders als der preußische Hauptmann und osmanische Major Fritz Klein – kläglich scheitern.

Der interessante, die Forschung auf einem noch wenig begangenen Terrain bereichernde und durchweg gut zu lesende Band gewinnt zusätzlich durch seinen umfangreichen Bildteil, wo viele bislang noch nie publizierte Fotos aus Privatsammlungen zu sehen sind. Sie vermitteln dem Leser nicht nur einen Eindruck von den Protagonisten und ihrem Tätigkeitsfeld, sondern werden auch interpretierend in die Darstellung einbezogen.

Ein kurzer Ausblick auf die Nachkriegsjahre, in denen Klein sich erfolglos in verschiedenen Berufen versuchte und sich schließlich aus der Welt in die Studierstube zurückzog, um sich historischen und philosophischen Forschungen zu widmen, rundet den Band ab. Das Buch sei allen ans Herz gelegt, die sich für einen unorthodoxen Offizier und nonkonformistischen Charakter ebenso interessieren wie für einen bis heute fast vergessenen Schauplatz des Ersten Weltkrieges.

Anmerkungen:
1 So etwa die bis heute grundlegende umfangreiche Darstellung von Ulrich Gehrke, Persien in der deutschen Orientpolitik während des Ersten Weltkrieges, 2 Bde. (= Darstellungen zur auswärtigen Politik 1), Stuttgart 1960.
2 Werner Ende, Iraq in World War I. The Turks, the Germans and the Shi’ite Mujtahids’ Call for Jihad, in: Proceedings of the ninth Congress of the Union Européenne des Arabisants et Islamisats, Amsterdam, 1–7th septembre 1978, Leiden 1981, S. 57–71, hier S. 62f. und S. 68.